Studie: Fußball im Freien völlig unbedenklich

Foto: U10/U11

Das Positionspapier und der offene Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung an die Politik haben große Beachtung gefunden. Die Kernbotschaften lauteten: Die Gefahren der Corona-Pandemie lauern nahezu ausschließlich in geschlossenen Räumen. Aktivitäten an der frischen Luft, darunter auch das Sporttreiben, sind unbedenklich. In einem Interview mit dfb.de, der Internetplattform des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), bezieht Biophysiker Dr. Gerhard Scheuch, als Mitglied der Gesellschaft für Aerosolforschung einer der Verfasser des Papiers, eine klare Position für Sport im Freien - auch in Gruppen.

 

Herr Dr. Scheuch, inwiefern macht es in der aktuellen Pandemielage Sinn, in Vereinen Sport zu treiben?

 

Es macht sehr viel Sinn. Im Freien treten so gut wie keine Ansteckungen auf. In Irland sind in einer Studie 232.000 Infektionsfälle untersucht worden, 260 davon sind unter freiem Himmel aufgetreten. In anderen Worten: 99,9 Prozent der Covid-19-Ansteckungen erfolgen in geschlossenen Räumen. Ich würde Öffnungen für den Sport daher sehr befürworten. Sport ist gesund, Sport tut gut - und er motiviert die Menschen, Innenräume zu verlassen. Er bringt sie an die frische Luft. Denn eins wissen wir sicher: Es sind die Innenräume, in denen wir uns anstecken.

 

Wie stark ist vor diesem Hintergrund zwischen Indoor- und Outdoor-Sport zu differenzieren?

 

Fußball im Freien ist völlig unbedenklich. Bei Indoor-Sportarten muss man genauer hinschauen, aber auch hier ist Angst aus meiner Sicht unangebracht. Sporthallen sind in der Regel sehr groß. Wenn man dort nicht Unmengen an Menschen versammelt und darüber hinaus eine gute Lüftung hat, ist auch Indoor-Sport möglich. Die Lüftung ist entscheidend. Man kann die Gegebenheiten in einer Halle sehr einfach mit einer CO2-Messung überprüfen. Wenn sich eine CO2-Konzentration anreichert, ist das ein Alarmsignal. Ist der Wert dagegen stabil, ist die Durchlüftung gut und das Sporttreiben in der Halle unbedenklich.

 

Was ist für den Fußball zu beachten? Sind Kleingruppen sinnvoll? Muss das Training aus Ihrer Sicht in der aktuellen Situation kontaktfrei durchgeführt werden?

 

Klares Nein. Spielformen, Zweikämpfe, also ein ganz normales Mannschaftstraining sind problemlos möglich. Kleingruppen und Training streng auf Abstand ergeben keinen Sinn. Für das grundsätzliche Verständnis ist wichtig: Ansteckungen entstehen durch Aerosole, nicht durch Kontakte. An der frischen Luft verflüchtigen sich Aerosole sehr schnell, die nötige Konzentration für eine Ansteckung wird dadurch nicht erreicht. Darüber hinaus sind die Kontaktzeiten im Fußball ohnehin sehr kurz. Darum: Lasst die Leute, speziell die Kids, wieder kicken. Es ist ja Wahnsinn, was wir aktuell machen.

 

Was sagen Sie zu den Differenzierungen nach Alter fürs Training?

 

Zuletzt war in vielen Bundesländern bis 14 Jahren Training in Gruppen bis zu 20 Personen erlaubt, ab 15 Jahren nur in Zweier-Gruppen.

Eine Altersbeschränkung für Sport im Freien halte ich für überflüssig. Das Alter ist egal, weil es so gut wie keine Ansteckungen im Freien gibt. Von daher könnte man das aufheben.

 

Was ist rund ums Fußballtraining zu berücksichtigen in Bezug auf mögliche Gefahren?

 

Zu beachten ist die Anfahrtssituation. Die Anreise im Auto sollte nicht in Gruppen erfolgen. Zudem sollten möglichst die Fenster offen sein und es ist eine Maske zu tragen. Genau im Blick muss man auch die Toilettenanlagen haben. Dort ist eine ausreichende

Lüftungsmöglichkeit zwingend. Alle Beteiligten müssen letztlich immer eine Frage im Kopf haben: Wo können sich Aerosole aufhalten? Das hilft bei der Organisation.

 

Ist Ihre Argumentation auch für die britische Mutation des Virus' haltbar?

 

Ja. Die Mutation ist an der frischen Luft genauso wenig ansteckend wie die alten Varianten. Darum gibt sie der Diskussion zu diesem Thema keine andere Grundlage und Richtung.

 

Wie erklären Sie sich dann die weiter vorhandene starke Zurückhaltung gegenüber dem Breitensport und das anhaltende Denken in Verboten?

 

Das Verständnis, was man unter einer Aerosolübertragung versteht, was sie bedeutet, wie sie funktioniert, ist noch nicht richtig vorhanden - auch bei vielen Wissenschaftler nicht. Aerosolwissenschaft ist sehr komplex, darum werde ich kommende Woche auch einen regelmäßigen Podcast starten, um öffentlich in die Tiefe zu gehen und Verständnis zu schaffen. Die Krux ist, dass wir in Deutschland nach wie vor keine konsequente Differenzierung in Außen- und Innenbereiche vornehmen. Zu Beginn der Pandemie dachte man, es handelt sich um eine Tröpfchen- und Kontaktinfektion. Logisches Ergebnis: Überall Kontakte reduzieren. Das wirkt bis heute nach. Mittlerweile wissen wir aber, dass Aerosole der Hauptübertragungsweg sind. Das ist Wissenschaft live.

 

Die ersten Hygienekonzepte vergangenes Jahr empfahlen noch die Desinfektion von Bällen und Trainingsmaterialien.

 

Ein schönes Beispiel. Gut gemeint, aber letztlich Unsinn. Da hätte man genauso gut einen Zauberspruch aufsagen können, das hätte die gleiche Wirkung.

 

Vor wenigen Wochen haben mehr als 100.000 Menschen an einer bundesweiten DFB-Umfrage teilgenommen: 98 Prozent gaben an, dass sie den Amateurfußball vermissen. Was sagen Sie diesen Menschen?

 

Dass sie rausgehen und Sport machen sollen, natürlich im Rahmen der erlaubten Möglichkeiten. Vergesst die Angst. Das Risiko an der frischen Luft wird leider an vielen Stellen heillos überschätzt. Erst kürzlich bin ich ernsthaft gefragt worden: "Wann darf ich wieder rausgehen?" Da bin ich fast vom Glauben abgefallen. Das war auch der letzte Anstoß für mich, den offenen Brief mit der Gesellschaft für Aerosolforschung zu verfassen.

 

 

Quelle: GießenerAnzeiger (www.giessener-anzeiger.de)